SpeakerS’ Corner  
eine VeranStaltungSreihe  
Von und mit gela ’84 e.V.  
Montag,  
7. Mai 2018  
Mittwoch,  
9. Mai 2018  
Donnerstag,  
10. Mai 2018  
Samstag,  
12. Mai 2018  
Sonntag,  
13. Mai 2018  
Geschichte  
des  
Kabaretts  
in Anlehnung an die  
Veranstaltungsreihe auf  
der LGS Würzburg  
Die Geschichte des Kabaretts wird von den Anfängen bis  
zum Ende des Zweiten Weltkriegs unterlegt mit Beispielen  
skizziert. Aus verständlichen Gründen kann ein solches  
Vorhaben niemals vollständig sein. Es sind nur Schlaglichter,  
die die Zeit und die satirische Reaktion darauf erhellen  
sollen. Auch die Beispiele sind nur Fragmente, die nach  
meinem Empfinden den Sinn des jeweiligen Gesamttextes  
deutlich machen.  
Moderation: Dieter Perlowski  
Historische Beispiele vorgetragen von Hildegunde Hofmann  
Dieter Schwind  
Günter Zettl  
Aktuelle Beiträge im Wechsel  
Uwe Demny  
Manuel Holzner  
Gregor Wolf  
Quellennachweis:  
- Kleinkunststücke Band 1 bis 5, herausgegeben von Volker Kühn.  
- Wikipedia  
François Villon (um 1450) gilt als bedeutendster französischer Dichter seiner Zeit  
und manchem als Urvater des Kabaretts. Nebenbei war er kriminell und saß in der  
Todeszelle, wo er schrieb: „Von dem Strick einer Elle wird mein Hals erfahren, was  
mein Hintern wiegt.“ Französisch hat sich das gereimt. Er wurde begnadigt.  
Als „Erfinder“ des modernen Kabaretts muss (hier aber nur der Vollständigkeit  
halber) Rodolphe Salis erwähnt werden. Er war Gründer, Leiter und Conférencier  
des im November 1881 eröffneten „Chat noir“ in Paris.  
Erst am 18. Januar 1901 wurde das erste literarische Kabarett in Deutschland  
gegründet, und zwar von Baron Ernst von Wolzogen. Er gründete in Berlin das  
„Überbrettl“. Politisch war es kaum. Wolzogen sagte:  
„Wir wollen eine neue Kultur herbeitanzen.“  
Satire bleibt in den Anfängen hängen, wohl auch wegen der Zensur, die es damals  
noch gab. Es war die Rede von der nackten Lust am Schönen. Es ging zumeist um  
Liebelei mit den lieben, süßen Mädels, die immer wieder besungen werden.  
Erich Mühsam brachte es in seinen Schüttelreimen auf den Punkt:  
„Die Männer, welche Wert auf Weiber legen,  
Tun dieses leider meist der Leiber wegen.“  
Ernst von Wolzogen schrieb das erste deutsche Dirnenlied. Der Titel war „Madame  
Adèle“. Es wurde am 18. Januar 1901 im „Überbrettl“ uraufgeführt. Hier ein Auszug  
daraus.  
„Abends kriegt ich Käs und Rettich,  
Und dann kroch fein satt ins Bett ich.  
Jetzt – jede Nacht im Separé  
Mit feschen Herren ein Souper  
He! Kreischt und lacht  
Was glauben Sie, wie das glücklich macht!“  
Am 23 Januar 1901 entwickelte Max Reinhardt aus dem „Überbrettl“ als  
Mitbegründer das Kabarett „Schall und Rauch“, das er bis 1905 leitete. Dieses war  
aber nicht nur frivol, es war bisweilen auch makaber. Schwarzer Humor eben.  
„Sie brauchten gar nicht umzusteigen,  
Drum gab sie sich ihm stumm zu eigen;  
Doch da verkehrt die Weichen lagen,  
Fuhr man sie heim im Leichenwagen.“  
Auch dieses Beispiel findet sich in den Schüttelreimen von Erich Mühsam, der aber  
weder mit dem „Überbrettl“ noch mit dem „Schall und Rauch“ in Zusammenhang  
gebracht wird.  
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„Die elf Scharfrichter“ feierten am 13. 4. 1901 in München Premiere. Die Initiatoren  
verkauften Anteilsscheine an Münchner Mäzene, um die Finanzierung der Bühne zu  
sichern. Dieses Kabarett gilt als das erste politische Kabarett in Deutschland.  
„Der Tantenmörder“ ist ein Rollengedicht von Frank Wedekind aus dem Jahr 1902,  
das in Form einer Moritat das Bekenntnis eines Raubmörders wiedergibt. Hier die  
letzten vier Zeilen:  
„Ich hab meine Tante geschlachtet,  
Meine Tante war alt und schwach;  
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet  
Meiner blühenden Jugend-Jugend nach.“  
Hier waren die Scharfrichter auch noch nicht wirklich politisch.  
Kathi Kobus übernahm 1903 die Räume des Kaffeehauses „Kronprinz Rudolf“ in  
München und gründete den „Alten Simpl“, was Joachim Ringelnatz 1909 im  
Simplicissimus folgendermaßen kommentierte:  
„Das Lied der Kathi Kobus“  
Nun stimmet an mit frohem Sinn  
Und brüllt aus vollem Leibe  
Das Lied der Kathi Kobussin  
Und ihrer Künstler-Kneipe!  
Dort hab' ich manches Mal gezecht,  
Und ward mir's hinterher auch schlecht,  
Ich singe doch mit Fug und Recht  
Es gibt auf dem ganzen Globus  
Nur eine Kathi Kobus!“  
Das Kabarett wird weiter kommerzialisiert. Im „Roland von Berlin“ mit  
Marmoraufgang, Samt und Seide, Luxus und Intimität verkehrt sogar der Kronprinz.  
Die Programme in solchen Kulturtempeln bleiben eher banal frivol.  
Wegen der Lex Heinze, die die Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls unter  
Strafe stellte, schlossen sich einige Kabarettisten zusammen und schossen endlich  
scharf. Verbal scharf.  
Einige Künstler haben den Weltkrieg vorausgesehen, wie Alfred Lichtenstein uns  
ein Beispiel in seiner Gedichtsammlung gibt. „Prophezeiung“ aus dem Jahre 1911.  
„Einmal kommt – ich habe Zeichen –  
Sterbesturm aus fernem Norden –  
Überall stinkt es nach Leichen.  
Und es beginnt das große Morden.“  
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Und es kommt zum Ersten Weltkrieg. Während des Krieges ist das Kabarett aber  
nicht tot. Es lebt hierzulande und im Exil. Von Hugo Ball geschrieben, von Emmy  
Hennings in Zürich vorgetragen: „Totentanz 1916“  
„So sterben wir, so sterben wir,  
Wir sterben alle Tage,  
Weil es so gemütlich sich sterben lässt.  
Morgens noch in Schlaf und Traum  
Mittags schon dahin.  
Abends schon zuunterst im Grabe drin.“  
Dadaismus beginnt schon während des Krieges, lebt danach aber auf. Dada kommt  
aus der Schweiz, wird übernommen. Dada zeigt die Sinnlosigkeit der Welt durch  
scheinbar sinnlose Aneinanderreihung von Silben, Wörtern oder Wortgruppen. Dies  
aber nur des hoffnungslosen Versuchs der Vollständigkeit halber.  
Dann folgt die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit.  
„Wem hamse die Krone geklaut?  
Wem hamse die Krone geklaut?  
Dem Wilhelm, dem Doofen, dem Oberganoven,  
Dem hamse die Krone geklaut.“  
Wir wissen nicht, wer der Urheber war, aber in der zweiten Strophe wird klar:  
Friedrich Ebert war’s, der die Krone geklaut hat.  
Hier nun ein eher sanftes Beispiel der Aufbereitung. Kurt Tucholsky unter dem  
Pseudonym Kaspar Hauser lieferte 1919 den „Revolutions-Rückblick“. Es sind  
wieder die alten, die nach oben kommen.  
„Wir dachten schon: Jetzt gilts den Offizieren!  
Wir dachten schon: Hier wird nun Ernst gemacht.  
Wir dachten schon: Man wird sich nicht genieren,  
Das Feuer brennt einmal ... es ist entfacht ...  
Wir dachten schon: Nun kommt der Eisenbesen,  
Doch weicht der Deutsche sich die Hosen ein –  
Behüt dich Gott, es wär zu schön gewesen,  
Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein.“  
Kurt Tucholsky dichtete fast nebenbei Texte, Lieder und Couplets für das Kabarett,  
etwa für die Bühne „Schall und Rauch“, und für Sängerinnen wie Claire Waldoff und  
Trude Hesterberg.  
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Nach einem Krieg herrscht Armut. Schnell gibt es aber auch ganz plötzlich Leute,  
die davon nicht betroffen zu sein scheinen. Es entsteht Neid. Und es wird  
geschoben. Als Beispiel der kabarettistischen Aufbereitung finden wir ein Beispiel im  
Eröffnungsprogramm bei „Schall und Rauch“, uraufgeführt am 8. 12. 1919: „Wenn  
der alte Motor wieder tackt“.  
„Schiebung! Schiebung! Schiebung!  
Schiebung! Schiebung! Schiebung!  
Wohin du siehst, wohin du guckst,  
Wohin du hörst, mein Lieber!  
Sehr wichtig!  
Wohin du trittst, wohin du spuckst,  
Nur Schieber! Schieber! Schieber! “  
Der Text stammte von Kurt Tucholsky unter dem Pseudonym Theobald Tiger,  
Komponist war Friedrich Hollaender, gesungen hat Paul Graetz.  
Endlich wird Satire eingefordert, aber nicht unbedingt vom Publikum. Hermann  
Vallentin, deutscher Schauspieler und Sänger, sagt:  
„Interessiert das das Publikum?  
I wo, der nackte Hintern der Anita Berber –  
Der interessiert das Publikum!“  
Und er wusste, was er sagte. Ihre oft nackt dargebotenen Tänze führten immer  
wieder zu tumultartigen Szenen während der Auftritte.  
Die Kabarettisten selbst forderten Satire. Kurt Tucholsky sagte:  
„Um Gottes Willen ... wer schreit denn da so -?  
Das? Das ist die Zeit, sie schreit nach Satire.“  
Oder Werner Finck:  
„Sie werden lachen – es ist uns Ernst.“  
Es wird satirischer. Friedrich Hollaender schrieb 1921 für die „Wilde Bühne“ den  
Text „Dressur“, der von Kurt Gerron vorgetragen wurde.  
„Alles - in Freiheit dressiert  
Alles – pariert und harrt des Winks  
Von rechts bis links!  
Das Tier ward Mensch – der Mensch ist feig  
Und frisst sich auf mit Krieg und Streik!  
Sie würden sich zerfetzen  
Nach Noten und Gesetzen  
Und fürchten die Dressur!  
Das ist Kultur!“  
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Bleiben wir bei der „Wilden Bühne“. im Januar 1922 sang Bert Brecht seine  
Legende vom toten Soldaten bei einem Auftritt auf Trude Hesterbergs „Wilder  
Bühne“ und löste damit einen Skandal im Publikum aus. Die Legende wurde von der  
politischen Rechten unmittelbar als beleidigender Angriff auf den deutschen  
Frontsoldaten empfunden.  
„Und als der Krieg im fünften Lenz  
Keinen Ausblick auf Frieden bot  
Da zog der Soldat seine Konsequenz  
Und starb den Heldentod  
Der Krieg war aber noch nicht gar  
Drum tat es dem Kaiser Leid  
Dass sein Soldat gestorben war;  
Es schien ihm noch vor der Zeit.“  
Das Publikum tobte. Der Vorhang fiel, Walter Mehring soll vorgetreten sein und  
gesagt haben, dies sei eine Blamage, „aber nicht für den Autor, sondern für  
Sie, für das Publikum“. Brechts Kommentar als Autor des Textes zu dem Protest:  
„Na und? “  
Kommen wir zu Erich Kästner. Regelmäßig schrieb er als freier Mitarbeiter für  
verschiedene Tageszeitungen, wie das Berliner Tageblatt und die Zeitschrift „Die  
Weltbühne“.  
Sie war eine deutsche Wochenzeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, die sich in  
der Zeit von 1927 bis 1933 dem Kampf gegen den Nationalsozialismus verschrieben  
hatte.  
Dem Kabarett widmete Erich Kästner sich auch, aber vermehrt erst nach 1945,  
doch für die Weltbühne verfasste er schon wesentlich früher satirisch kritische Texte.  
Gerne spielt die Satire auch „was wäre wenn“, wie es Kästner 1930 in „Die andere  
Möglichkeit“ beispielhaft zeigt.  
„Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,  
Mit Wogenprall und Sturmgebraus,  
Dann wäre Deutschland nicht zu retten  
Und gliche einem Irrenhaus  
...  
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,  
Dann wäre jedermann Soldat.  
Ein Volk von Laffen und Laffetten!  
Und rings herum nur Stacheldraht.  
...  
Zum Glück gewannen wir ihn nicht! “  
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Und wie sah die Satire den Deutschen als solchen? Erich Kästner erkennt die nach  
wie vor vorhandene Obrigkeitshörigkeit. 1928, also zwei Jahre vor „Die andere  
Möglichkeit“, schrieb er: „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“  
„Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will  
- Und es ist sein Beruf, etwas zu wollen –  
Steht der Verstand erst stramm und zweitens still.  
Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrad rollen.“  
Und die Obrigkeitshörigkeit bleibt eines von Kästners Themen. Er schrieb neben  
seiner schriftstellerischen Tätigkeit für Presseorgane auch für das politisch-  
literarische Kabarett „Die Katakombe“, die es von 1929 bis 1935 in Berlin gab. 1932  
schrieb er für die „Katakombe“ „Ganz rechts zu singen“.  
„Stoßt auf mit hellem hohem Klang!  
Nun kommt das Dritte Reich!  
Ein Prosit unserm Stimmenfang!  
Das war der erste Streich!  
...  
Bei Wotans Donner, jetzt beginnt  
Die Dummheit als Volksbewegung.“  
Gründer der Katakombe war unter anderen Werner Finck. Dort traten Kabarettisten  
auf, die man später eher als Schauspieler kannte, wie z.B. Rudolf Platte, Theo  
Lingen oder Erik Ode. Werner Finck führte als Conférencier durch das Programm,  
das Sketche und Parodien vereinte.  
Hardy Worm, ein linker Journalist, Satiriker und Verleger, sagte über sein Gedicht  
„Die Nationalstrolchisten“, dass er den Wortschatz dem NS-Blatt „Der Angriff“  
entnommen hatte. Er hatte es 1932 für das Kabarett „Die Pille“ geschrieben.  
„Die Nationalstrolchisten“  
Anjetreten! Held markieren!  
Und Proleten masakrieren!  
Saal umstellen! Blut muss fließen!  
Janze Blase niederschießen!  
...  
An der Spitze von det Janze  
Goebbels im Heldenjlanze.  
...  
Phrasen dreschen, Mord ausbrüten,  
Wie die wilden Tiere wüten –  
Das, nur das, kann diese Horde.  
Stets bereit zum Meuchelmorde.“  
Der satirische Angreifer nutzt also den Wortschatz des mit Satire Anzugreifenden.  
Eine verbreitete Methode des Kabaretts bis heute.  
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Kabarett wurde zunehmend gefährlich. Man besann sich so ein bisschen auf die  
Anfänge um 1900. Tingeltangel galt als harmlos.  
„Ich singe nicht laut, ich sing vor mich hin;  
Nicht etwa aus Furcht, wo denken Sie hin?  
Nur weil ich so furchtbar vorsichtig bin.“  
Das war ein Text des Kabaretts „Die Nachrichter“ in München. Bei „Nachrichter“  
handelt es sich nicht um Mitarbeiter der Medien sondern um eine alte Bezeichnung  
für den Henker, der nach dem eigentlichen Richter, der das Todesurteil spricht, als  
„nach-Richter“ dieses vollstreckt.  
Walter Lieck gab mit folgendem Vierzeiler dann auch zu, dass man vorsichtiger  
wurde.  
„Früher lebten Kabarette  
Meistens von der Politik.  
Heute, das ist ja das Nette,  
Machen wir dafür Musik.“  
Auch die „Katakombe“ hatte bereits der politischen Themen entsagt. Seit der  
Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 gehörten Vertreter der  
Geheimen Staatspolizei zum Stammpublikum der „Katakombe“. Werner Finck  
wusste das, und er sprach sie eines Abends an:  
„Meine Herren, spreche ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder muss ich  
mitkommen. “  
Joachim Ringelnatz war da in der „Katakombe“ eher vorsichtig. 1934 entstand sein  
„Volkslied“ in dem es unter Anderem hieß:  
„Wenn ich zwei Vöglein wär,  
Und auch vier Flügel hätt,  
Flög die eine Hälfte zu dir.  
Und die andere, die ging auch zu Bett,  
Aber hier zu Haus bei mir. “  
Am 10. Mai 1935 wurde die „Katakombe“ auf Betreiben Joseph Goebbels von der  
Gestapo geschlossen. Werner Finck wurde vorübergehend im KZ Esterwegen  
inhaftiert. Es galt also SOS: SOS stand im Dritten Reich für „Schweig oder sitz“.  
Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum  
Reichskanzler. Der faschistische Staat gewährte aber noch zwei Jahre Schonfrist,  
ehe er 1935 mit dem Verbot namhafter Kabaretts ein deutliches Zeichen setzte.  
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Viele Kabarettisten begaben sich ins Exil, wie zum Beispiel Curt Bry, der 1937 in  
Wiener Kabaretts seine „Kleine Betrachtung über das Heil“ vortrug.  
„Das Wörtchen Heil ist heute sehr in Mode,  
Man trifft es an auf Schritt und auch auf Tritt,  
Nach dem Rezept bewährter Heilmethode  
Heult man und heilt mit anderen Wölfen mit.  
...  
Nun ist es da und läßt sich’s trefflich munden  
Und hat die Welt zum Teil zum Heil bekehrt,  
Doch wer sein Heil nicht in der Flucht gefunden,  
Sucht heute noch, welch heil ihm widerfährt. “  
Aber auch im ferneren Exil gab es das deutschsprachige Kabarett. Im „Kabarett der  
Komiker“ in New York schrieb Robert Gilbert 1944 die „Resolution der  
bombardierten Babys“.  
„Aufgrund der Tatsache, dass ein Kinderwagen kein Tank ist und ein  
Sauger kein MG,  
sind wir die faktisch schlechtest ausgerüstete Armee.  
Und ebensowohl als auch eine Windel kein Panzerhemd ist  
und unser Stahlhelm nur aus Wolle,  
spielt sogar der Knallbonbon militärisch keine Rolle.  
Darum: Wir vereinigten mit Bomben belegten Babies beschließen –  
Es wird tunlichst gebeten, über uns weg zu schießen. “  
Auch bei Jura Soyfer ist von Exil die Rede. Aber nur ein einziger Hinweis darauf in  
der Recherche reicht nicht wirklich, um das zu bestätigen. Sicher ist aber, dass  
folgende Zeilen von ihm stammen.  
„Kniet nieder und fleht um ein Wunder!  
Wenn sich der Himmel nichts abhandeln lässt,  
Geht die Welt in vier Wochen unter! “  
Er war Schriftsteller in Österreich. Er starb im KZ Buchenwald am 16. Februar 1939  
an Typhus.  
Das gemäßigte Kabarett blieb aber in Deutschland. Weiß Ferdl trat im „Platzl“ in  
München auf. Dort inspirierten ihn die Reden, die von Goebbels und Hitler über  
intellektuelle Volksschädlinge gehalten worden waren. Er bekannte 1940 „Ich bin so  
froh, ich bin kein Intellektueller!“  
„Ich bin so froh, ich bin kein Intellektueller,  
kein Siebengscheiter, kein Aufgeklärter, kein ganz Heller.  
Mir gehts nicht schlecht bei uns hinieden,  
ich bin mit meinem Geist zufrieden.  
Bei mir da nimmt man jedes Wort nicht gleich so krumm,  
Das ist der Vorteil, wennst a bisserl dumm. “  
9
Werfen wir kurz einen Blick in den Krieg. Stellt sich die Frage: Ging das Kabarett mit  
in diesen Krieg, in die Schützengräben? Nicht wirklich, aber als Witz war es nicht  
ganz tot. MG-Schütze Wolfgang Neuss trug 1933/34 in den Unterständen vor:  
„Herr Hauptmann, rufe ich, Herr Hauptmann! Ich habe sieben Gefangene!  
Sagt der Hauptmann: Ist gut. Bring sie her.  
Geht nicht, sage ich. Die halten mich fest. “  
Nur im Ausland, im Exil, blieb das Kabarett aggressiv. Karl Farkas arbeitete für die  
deutsch-sprachige Sendereihe „We fight back“ der Stimme Amerikas. Was er 1942  
brachte, wäre in Deutschland tödlich gewesen.  
„Was erzählt der Goebbels, der Kleine, stündlich, tagaus, tagein?  
Lügen haben kurze Beine, und er hat ein kurzes Bein.  
Er lügt ja wie gedruckt, und er druckt, was er lügt. “  
Gab es Kabarett in den KZs? Kabarettisten, die es nicht ins Exil geschafft hatten,  
wurden inhaftiert, vielfach dort umgebracht. Aber machten sie Kabarett? Ja, machten  
sie. Auch Werner Finck saß ein, und zwar im KZ Esterwegen als sogenannter  
Schutzhäftling. Er behielt seinen Humor. 1935 erklärte er in einer Conference:  
„Ihr werdet euch bestimmt wundern, warum wir so munter und fröhlich  
sind. Nun Kameraden, das hat seine Gründe: In Berlin waren wir schon  
lange nicht mehr. Immer, wenn wir da aufgetreten sind, hatten wir ein  
unangenehmes Gefühl im Rücken. Das war die Furcht, ins KZ zu kommen.  
Und seht ihr, jetzt brauchen wir keine Angst mehr zu haben: Wir sind ja  
drin! “  
Werner Finck hat das Tausendjährige Reich überlebt.  
Vor dem drohenden Tod spielten Kabarettisten in der Hoffnung zu überleben. In  
ihren Texten drückte sich diese Hoffnung aus. Oder war es nur der Versuch, den  
Mithäftlingen Mut zu machen? Fritz Löhner, der unter dem Namen Beda auftrat,  
brachte im KZ Buchenwald 1942 den Text „Ich warte“.  
„Ich bin ein Häftling, sonst bin ich nix,  
Hab keinen Namen, die Nummer X.  
Gestreift ist mein Rock, die Hose auch,  
Ich schnüre den Riemen um gar keinen Bauch.  
Und warte.  
(...)  
Doch mich frisst kein Tiger, mich schlägt kein Hai,  
Der Tod geht täglich an mir vorbei.  
An mir beißt der Teufel die Zähne sich aus.  
Ich fühl es: ich komm aus der Hölle heraus!  
Ich warte. “  
10  
Beda starb in Auschwitz an Entkräftung. Er hatte zwei Jahre vor diesem Text bereits  
Kabarett in Buchenwald gespielt. Er hatte 1940 die Zukunft des Reiches in  
parabelähnlicher Form dargestellt mit seinem „Kindermärchen“.  
„Es war einmal ein Drache,  
Der hatt ein großes Maul  
Und Zähne wie ein Tiger  
Und Hufe wie ein Gaul.  
Er hatte immer Hunger  
Und fraß die ganze Stadt,  
Fraß Länder auf und Völker  
Und wurde doch nicht satt.  
Er hat von früh bis abends  
Gefressen und geschmatzt,  
Doch bei dem letzten Bissen  
Ist er am End geplatzt. “  
Das hatte er überlebt. Hatten die Wachleute nicht zugehört, oder sollten sie es nicht  
verstanden haben?  
Wie dem auch sei. Endlich war der Krieg aus. Sollte nun das Kabarett die politische  
Satire mangels Themen aufgeben? Werner Finck meinte:  
„Unsere Aufgabe kann nicht in unserer Aufgabe bestehen. “  
Es begann die Aufarbeitung des vergangenen Reiches. Es entstanden Texte wie  
„Beim Ziegelputzen zu singen“ von Werner Finck, „Ein Landser kehrt Heim“ von  
Erich Kästner oder „Vater und Sohn über den Krieg“ von Karl Valentin.  
Als letztes Beispiel ein Text von Erich Kästner für die Schaubude in München „Die  
Jugend hat das Wort“, aufgeführt 1946.  
„Ihr habt das wundervoll erledigt.  
Vor einem Jahr schriet ihr noch „Heil!“  
Man staunt, wenn ihr jetzt „Freiheit“ predigt  
Wie kurz vorher das Gegenteil. “  
1946 war ja nun nicht das Ende des deutschen Kabaretts, man konnte es so nach  
und nach nur nicht mehr gesamtdeutsches Kabarett nennen. Wie es im Westen  
weiter ging, wissen wir so einigermaßen. Wie es im Osten weiterging, blieb für uns  
weitestgehend im Dunkel der Geschichte verborgen.  
11  
Kabaretts  
Alter Simpl  
1903 gegründet von Kathi Kobus in den Räumen des Kaffeehauses  
Kronprinz Rudolf in München, am 13. Juli 1944 durch Bombeneinschlag  
zerstört. Hieß ursprünglich Simplicissimus in Anlehnung an die satirische  
Wochenzeitschrift Simplicissimus.  
Chat noir  
(deutsch Der schwarze Kater) war von 1881 bis 1897 ein beliebtes Pariser  
Kabarett auf dem Montmartre, das von Rodolphe Salis gegründet wurde.  
Die elf Scharfrichter  
Eröffnet am 13. April 1901, im Herbst 1904 wegen erheblicher Schulden  
aufgelöst.  
Die Katakombe  
Die Nachrichter  
politisch-literarisches Kabarett in Berlin, das von 1929 bis 1935 bestand.  
auch bekannt als Die vier Nachrichter. Münchener Kabarettensemble der  
frühen 1930er Jahre.  
Die Pille  
Berliner Kabarett, um 1930 von der „Gruppe junger Schauspieler“  
gegründet.  
Die Schaubude  
Kabarett der Komiker  
Weithin bekanntes Kabarett der Nachkriegszeit in München, gegründet vob  
Rudolf Schündler und Otto Osthoff.  
auch KadeKo genannt, war ein Kabarett in Berlin, ging ins Exil nach New  
York  
Roland von Berlin  
Schall und Rauch  
Simplicissimus  
Überbrettl  
Kabarett in Berlin, gegründet 1904  
Berliner Kabarett, eröffnet im Frühjahr 1901.  
siehe „Alter Simpl“  
1901 von Ernst von Wolzogen in Berlin gegründet.  
Wilde Bühne  
(1921-1923) war ein Kabarett in Berlin und wurde von Trude Hesterberg  
geleitet.  
Personen  
Alfred Lichtenstein  
Anita Berber  
Bert Brecht  
(23. 8. 1889 – 25. 9. 1914) Expressionistischer Schriftsteller  
(10. 6. 1899 - 10. 11 1928) Tänzerin, Schauspielerin  
(10. 2. 1898 – 14. 8. 1956) Dramatiker, Librettist und Lyriker  
(21. 10. 1884 – 22. 1. 1957) Interpretin der Kleinkunst  
Claire Waldoff  
Curt Bry  
(16. Januar 1902 - 1974) Kabarettist. 1938 in die USA emigriert. Stern auf  
dem Walk of Fame des Kabaretts in Mainz.  
Emmy Hennings  
Erich Kästner  
Erich Mühsam  
(17. 1. 1885 – 10. 8. 1948) Schriftstellerin, Schauspielerin und  
Kabarettistin. 1920 Heirat mit Hugo Ball.  
(23. 2. 1899 – 29. 7. 1974)Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und  
Kabarettdichter.  
(6. 4. 1878 – 10. 7. 1934) Anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist  
und Antimilitarist. und politischer Aktivist. Im KZ Oranienburg ermordet.  
Erik Ode  
(6. 11. 1910 – 19. 7. 1983) Bürgerlich Fritz Erik Signy Odemar  
Ernst von Wolzogen  
(23. 4. 1855 – 30. 7. 1934) Schriftsteller, Verlagslektor, Gründer Kabaretts  
Überbrettl.  
François Villon  
(1431 - nach 1463) Dichter des französischen Spätmittelalters.  
Frank Wedekind  
Friedrich Hollaender  
(24. 7. 1864 – 9. 3. 1918) Schriftsteller, Dramatiker und Schauspieler.  
(18. 10. 1896 – 18. 1. 1976) Revue- und Tonfilmkomponist, Kabarettist und  
Musikdichter.  
Fritz Löhner (Beda)  
(24. 6. 1883 – 4. 12. 1942) Österreichischer Librettist, Schlagertexter und  
Schriftsteller.  
12  
Hardy Worm  
Hermann Vallentin  
Hugo Ball  
(8. 2. 1896 – 29. 8. 1973) Linker Journalist, Satiriker und Verleger  
(24. 5. 1872 - 18. 9. 1945) Schauspieler und Sänger.  
(22. 2. 1886 - 14. 9. 1927) Autor und Biograf. 1920 Hochzeit mit Emmy  
Hennings  
Joachim Ringelnatz  
Jura Soyfer  
(7. 8. 1883 als Hans Gustav Bötticher; - 17. 11. 1934) Schriftsteller,  
Kabarettist und Maler.  
(8. 12. 1912 – 16. 2. 1939) Politischer Schriftsteller in Österreich. Im KZ  
Buchenwald an Typhus gestorben.  
Karl Farkas  
(28. 10. 1893 - 16. 5. 1971) Österreichischer Schauspieler und Kabarettist.  
Karl Valentin  
(4. 6. 1882 - 9. 2. 1948) Eigentlich Valentin Ludwig Fey, Komiker,  
Volkssänger, Autor und Filmproduzent.  
Kathi Kobus  
Kurt Gerron  
(7. Oktober 1854 - 7. August 1929) Münchner Gastronomin.  
(11. 5. 1897 - 28. 10. 1944) Schauspieler, Sänger und Regisseur. Im KZ  
Auschwitz ermordet.  
Kurt Tucholsky  
Max Reinhardt  
(9. 1. 1890 - 21. 12. 1935) Auch Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald  
Tiger und Ignaz Wrobel. Journalist, Herausgeber, Gesellschaftskritiker,  
Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter, Romanautor, Lyriker und Kritiker.  
(9. 9. 1873  
-
31. 10. 1943) Eigentlich Maximilian Goldmann.  
österreichischer Theater- und Filmregisseur, Intendant, Theaterproduzent  
und Theatergründer.  
Paul Graetz  
(2. 7. 1890 - 16. 2. 1937) Filmschauspieler, Komiker in der Theater- und  
Kabarettszene.  
Robert Gilbert  
(29. 9. 1899 - 20. 3. 1978) Eigentlich David Robert Winterfeld. Deutsch-  
amerikanischer Textdichter, Lyriker, Komponist und Kabarettist.  
Rodolphe Salis  
Rudolf Platte  
Theo Lingen  
(29. 5. 1851 - 20. 3. 1897) Französischer Kabarettist, Maler und Graphiker.  
(12. 2. 1904 - 18. 12. 1984) Kabarettist und Schauspieler.  
(10. 6. 1903 - 10. 11. 1978) Eigentlich Franz Theodor Schmitz. Deutsch-  
österreichischer Schauspieler, Regisseur und Buchautor.  
Trude Hesterberg  
(2. 5. 1892 - 31. 8. 1967) Bühnen- und Filmschauspielerin, Kabarettistin,  
Chansonsängerin, Soubrette und Operettensängerin.  
Walter Lieck  
(13. 6. 1906 - 21. 11. 1944) Kabarettist, Schauspieler und Drehbuchautor.  
Walter Mehring  
(29. 4. 1896 - 3. 10 1981) Deutsch-jüdischer Schriftsteller und einer der  
bedeutendsten satirischen Autoren der Weimarer Republik.  
Weiß Ferdl  
(28. 6. 1883 - 19. 6. 1949) Eigentlich Ferdinand Weisheitinger. Humorist,  
Volkssänger und Volksschauspieler.  
Werner Finck  
(2. Mai 1902 -† 31. Juli 1978) Kabarettist, Schauspieler und Schriftsteller.  
(3. 12.1923 - 5. 5. 1989) Kabarettist und Schauspieler.  
Wolfgang Neuss  
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